Eine deutsche Bibel für alle
Der Name Martin Luther steht landl?ufig für die erste Bibelübersetzung in deutscher Sprache. Was nur wenige wissen: Bereits 200 Jahre vor Luther hat ein Mensch gro?e Teile der Bibel ins Deutsche übersetzt. Sein Name ist nicht bekannt, seine Schriften waren lange Zeit unentdeckt. Was inzwischen mit ihnen passiert – und was die Universit?t Augsburg damit zu tun hat.
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Wer ist der ?sterreichische Bibelübersetzer, kurz ?B?? Der Leiter des gleichnamigen Projekts, Prof. Dr. Freimut L?ser, zeigt auf ein Mosaikbild an seiner Bürowand. Darauf zu sehen: eine schreibende Gestalt vor dunkelblauem Hintergrund. Von oben scheint sie Inspiration in Form eines hellblauen Streifens zu bekommen. Gleichzeitig ist sie dem Bildbetrachter zugewandt. Die untere Bildh?lfte ist in wei? und gelb gehalten. Der Schreiber scheint mit seiner ausgestreckten Hand die Grenze zwischen dunkler und heller Bildfl?che zu überwinden und den hellen Raum zwischen sich und dem Bildbetrachter mit seinen Buchstaben füllen zu wollen. ?Das Bild passt so gut zu unserem Projekt, denn alles, was wir über den anonymen ?sterreichischen Bibelübersetzer wissen, setzen wir uns quasi wie ein Mosaik zusammen“, sagt L?ser mit einem Leuchten in den Augen. Dass man den Namen der anonymen Gestalt nicht kennt, st?rt L?ser nicht, im Gegenteil: ?Würde man herausfinden, dass er Heinrich von Irgendwo hie?, so hie?e er doch nur wie Tausende andere Personen seiner Zeit. So nennen wir ihn ?B?, und da mit ist er einzigartig."
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Ein Laie will verst?ndliche Bibeltexte
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Gelebt und gewirkt hat der ?B? etwa zwischen 1300 und 1355 im mittelalterlichen Herzogtum ?sterreich. Vermutlich handelt es sich um einen Adligen, der eine Weile studiert und eine literarische Bildung genossen hat. Er selbst betont in seinen eigenen Texten aber immer wieder, dass er ein Laie sei, der keine hohen Studien abgeschlossen habe. Er wollte seinen Zeitgenossen einen selbstst?ndigen Zugang zu biblischen Texten verschaffen. So hat er gro?e Teile der Bibel übersetzt. Dabei schien es ihm sehr um Allgemeinverst?ndlichkeit zu gehen, denn er hat seinen ?bersetzungen auch gleich Auslegungen, Erg?nzungen und Querverweise auf andere Bibelstellen hinzugefügt. Er legte seine Texte so an, dass die Schreiber der Handschriften, etwa mit verschiedenen Farben, die unterschiedlichen Textebenen sichtbar machen konnten. Dass er und seine Schriften trotz seiner fast modern anmutenden Dokumentations- und Arbeitsweise im Gegensatz zu Martin Luther keine fl?chendeckende Bekanntheit erlangt haben, liegt daran, dass sich der moderne Buchdruck erst im 15. Jahrhundert ausbreitete und im 14. noch nicht zur Verfügung stand. Dennoch: Das Werk des ?B? stellt laut Freimut L?ser eine, wenn nicht die zentrale Etappe deutschsprachiger Bibelübersetzung vor Luther dar. Von den Texten des ?B? gab es zahlreiche mittelalterliche Abschriften. Diese wurden allerdings erst in den 1930er-Jahren im Zuge eines starken forschungsgeschichtlichen Interesses an religi?ser Vergangenheit, geistlichen Texten und Bibeln wiederentdeckt und rückten w?hrend der letzten 20 Jahre immer mehr in den Vordergrund.
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Langzeitprojekt mit pers?nlichem Einsatz
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Damit sie heutzutage einer breiten ?ffentlichkeit zug?nglich und verst?ndlich gemacht werden k?nnen, dazu brauchte es auch eine ganze Menge pers?nliches Interesse und individuelle Einsatzbereitschaft. Das bringen Freimut L?ser und sein Team ein. Dem Professor für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters an der Universit?t Augsburg, der sich inzwischen im Ruhestand befindet, lagen die vielen, zum Teil auch von?ihm wiederentdeckten aber gr??ten teils unerforschten Texte am Herzen. So startete er mit Kollegen 2016 das interakademische Langzeitprojekt der Akademien-Union mit dem Titel ?Der ?sterreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch“. Die Projektlaufzeit betr?gt zw?lf Jahre. In dieser Zeit soll das Werk des ?B? ediert und kommentiert werden. Die Arbeitsgruppe unter L?sers Leitung ist an der Universit?t Augsburg angesiedelt, die Tr?gerschaft liegt bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die Arbeitsgruppe arbeitet zudem mit Kolleginnen und Kollegen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Schubert von der Universit?t Duisburg-Essen und der stellvertretenden Leitung von Prof. Dr. Jens Haustein von der Universit?t Jena zusammen.
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Fundgrube für 新万博体育下载_万博体育app【投注官网】i?visten: Gedrucktes und digitales Gesamtwerk des ?B?
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Das Gesamtwerk des ?B? enth?lt neben einer Reihe alttestamentlicher Bücher und dem neutestamentlichen ?Evangelienwerk“ auch eine umfangreich kommentierte Psalmenübersetzung sowie etliche Traktate. Am Ende des Projekts, im Jahr 2028, wird neben einer gedruckten Edition?des Gesamtwerks in Buchform auch eine digitale Version erscheinen. Diese digitale Version, teilweise bereits einsehbar, wird sowohl die digitalisierten Original-Handschriftenseiten als auch die Transkriptionen s?mtlicher Texte enthalten. Derzeit existiert bereits eine gedruckte Version des ?Alttestamentlichen Werks“, die schon im Vorfeld des Projekts von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gef?rdert wurde. Zudem stehen auf der Website des Projekts inzwischen die Digitalisate und Transkriptionen des ?Evangelienwerks“ in einer Beta Version zur Verfügung.
Für all dies haben die Wissenschaftler im Projekt eigene Methoden entwickelt, die inzwischen Schule machen. Forschende aus Germanistik, Geschichte, Theologie, Kultur- oder Religionswissenschaft und alle anderen, die sich für 新万博体育下载_万博体育app【投注官网】i?vistik interessieren, k?nnen sich künftig verschiedene Fassungen der alten ?B?-Schriften online übersichtlich nebeneinandergestellt ansehen und dabei von den transkribierten Texten in die entsprechenden Stellen der digitalisierten Original-Handschriften springen. So erhalten sie einen umfassenden Einblick in die mittelalterlichen Texte, die den Menschen lange vor Luther die Bibel in ihrer eigenen Sprache nahe brachten. ?An die Sprachgewalt Martin Luthers reichen die ?bersetzungen des ?B? nicht heran“, stellt Freimut L?ser fest. ?Allerdings l?sst sich gerade bei seinen neutestamentlichen Texten ein wunderbares erz?hlerisches Talent und hohes sprachliches K?nnen erkennen – und seine Ausdrucksweise ist auch heute noch zu verstehen!“ merkt der Forscher an: ?Ich war früher in Franken in einem Kirchenvorstand. Als Lektor habe ich einmal im Heiligabendgottes dienst die Weihnachtsgeschichte nicht aus der Lutherbibel, sondern eben aus der ?bersetzung des ?B??vorgelesen. Dabei musste ich insgesamt nur drei W?rter erkl?ren, den Rest haben die Leute auch so verstanden“, erz?hlt L?ser und l?chelt bei der Erinnerung.
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Vom Mittelalter über die Gegenwart in die Zukunft
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Noch etwas anderes freut den 新万博体育下载_万博体育app【投注官网】i?visten, der auch im Ruhestand für seine Wissenschaft und das Projekt brennt: Wie viele junge Menschen er begleiten durfte, die über die Projektmitarbeit inzwischen einen eigenen Weg in die Forschung gefunden haben. ?berhaupt sind seiner Erfahrung nach solche Arbeiten nur in einem Team m?glich. Auf die Zukunft nach Abschluss des ?B?-Projekts angesprochen, gibt Freimut L?ser eine Entdeckungpreis: Je l?nger seine Kolleginnen und er sich damit besch?ftigen, umso deutlicher erkennen sie, dass ihr Forschungsgegenstand eine europ?ische Dimension hat. ?hnliche Bestrebungen, wie sie der ?B? im deutschen Sprachraum verfolgte, habe es zur selben Zeit oder sp?ter vergleichbar fast überall in Europa gegeben. So existiert als Ableger bereits ein gemeinschaftliches Projekt mit der Universit?t Oxford, gef?rdert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem britischen Arts and Humanities Research Council, um den ?B? und die berühmte sogenannte Wyclif-Bibel. Also traf und trifft man sich auf Tagungen, um sich mit Kollegen auf europ?ischer Ebene auszutauschen. Inzwischen gehen sie davon aus, dass die verschiedenen europ?ischen Laien Bibelübersetzer nicht unabh?ngig voneinander gearbeitet haben, sondern durch pers?nliche Netzwerke verbunden waren oder zumindest die Arbeiten der anderen kannten. Hierin stecken laut L?ser Ans?tze für Nachfolgeprojekte: ?Ein abgeschlossenes Projekt bildet oft den Grund für das n?chste.“ Freimut L?ser schaut auf das Mosaik an der Wand.?Die ausgestreckte, schreibende Hand wirkt wie eine Aufforderung an den Bildbetrachter, sich noch weiter mit der Gestalt und ihren Schriften zu befassen.
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Website des Projekts: www.bibeluebersetzer-digital.de
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Prof. Dr. Freimut L?ser
Kontakt
- Telefon: 0821 598 5926
E-Mail: freimut.loeser@philhist.uni-augsburgphilhist.uni-augsburg.de ()